Made in Hong Kong - Teil 2

24.05.2009 RK
Cathay Pacific Boeing 747-400ERF
Cathay Pacific Boeing 747-400ERF (Foto: Boeing)

Seit Februar 2007 weilt Andreas Mangold, vormals Kapitän bei der Swiss, in Hong Kong und berichtet regelmässig über sein Leben in der Metropole und seine Erlebnisse an seinem Arbeitsplatz, der Boeing 747-200, den er für Cathay Pacific Airways fliegt.

Nach zwei Wochen beginnt nun der technische Kurs. Vorwiegend am Computer, zusammen mit unseren Büchern, füllen wir unsere überforderten Köpfe stunden- und tagelang mit technischem Wissen über die 747. Als Auflockerung dürfen wir jeden zweiten bis dritten Tag einen kleinen Test schreiben, drei Wochen lang. Und dann ist zu Hause auch noch Fasnacht. Tatsächlich keine Määrebrätscher dieses Jahr. Ich bin im Loch. Zum Glück gibt’s das Internet. Über Telebasel schaue ich Teile des Umzugs in Liestal, des Cienbäseumzugs, des Morgestraichs, der Schnitzelbänke, usw. Live, gratis und erst noch OHNE Tamara Wernli.

Cathay Pacific Airways

Andererseits wird’s hier allmählich recht interessant. Wir sitzen nun regelmässig mit den Ingenieuren im Simulator und lernen die Flugzeugsysteme 1:1 kennen. Unser alter Vogel hat noch einen Arbeitsplatz für einen Flight-Engineer: Ein etwa 2 Quadratmeter grosser Uhrenladen hinter den beiden Pilotensitzen. Müssen wir auch kennen und bedienen können. Nach weiteren drei Wochen ist dieser Spuk vorbei. Alles bestanden, Congratulations und Certificate of Completion. Zu unserem Glück haben wir nun eine Woche frei. Auf dem Plan. Aber wir haben natürlich nicht frei, weil ich erstens wieder einmal Wäsche machen muss (im hoteleigenen Waschsalon), zweitens zwei Tage Notfallkürsli anstehen und wir uns drittens auf die Simulatorausbildung vorbereiten müssen.

Aber zuerst zum Notfallkürsli: Am ersten Tag etwas Theorie, ein Testli, Feuerlöschen, über die Notrutsche aus dem Flieger springen. Läk isch das höch! Ein richtig abwechslungsreicher Tag. Noch lustiger wird der zweite Tag im Schwimmbad: Zusammen mit den Hostessen und anderen Piloten probieren wir die Schwimmwesten und das Notfallboot aus. Dann müssen wir uns auch noch gegenseitig retten; die armen Chinesen versaufen fast, weil sie entweder nicht schwimmen können oder einen europäischen Brocken erwischt haben.

Dubai 2007

Simulatorausbildung

Ich war ja wirklich auf vieles gefasst und auch vor so Einigem gewarnt worden. Aber der Mensch glaubt doch nur, was er selber erlebt. Was hier gefordert wird, ist unglaublich. Nach dieser Ausbildung hätte ich bestimmt exzellente Chancen an einer Präzisionsmeisterschaft. Zudem ist unser altes Monster eine Entwicklung der späten 60er Jahre. Viel Mechanik, Hydraulik und Pneumatik. Cockpit-Ergonomie kannte man damals noch nicht. Fast alle Anzeigen sind analog. Tausende kleiner und grosser Instrumente und Ührchen, Anzeigen, Lämpchen, Knöpfchen.
Und alles wild durcheinander gewürfelt. Auch der Autopilot ist aus der Steinzeit, aber das Ding kann immerhin automatisch landen und hat eine solche Redundanz in allen Systemen, dass ein Totalausfall fast unmöglich ist. Und ganz wichtig: Es gibt noch einen Flight-Engineer! Die Drei-Mann-Cockpits sterben aus, es ist für mich wahrscheinlich die letzte Möglichkeit, das noch zu erleben. Wie hilfreich die Ingenieure sind, werden wir sehr bald erfahren. Die meisten von ihnen gehen gegen 60, kennen das alte Mädchen wie ihren Hosensack und sind äusserst hilfsbereit.

Apropos altes Mädchen: Da hatte ich in der Sauna eine Begegnung der sonderbaren Art: Meistens gehe ich erst spät abends zum Saunieren, weil man dann seine Ruhe hat und nicht ganze Fleischberge das Häuschen füllen. Ich sitze also so da und tropfe vor mich hin, bis ich unter die kalte Dusche huschen will. Genau in diesem Moment kommt die Putzfrau um die Ecke und. Na ja, ich hätte es wissen müssen und mit einem Ganzkörperbadeanzug in die Sauna sollen. Aber die gute Frau hat entweder noch nie einen blutten Mann gesehen oder ist effektiv so schockiert, dass sie in einen veritablen Schreikrampf ausbricht. Halb epileptisch kann sie sich vor mir durch die Garderobe auf den Gang retten. Dort muss sie wohl mit Sauerstoff behandelt worden sein. Und wenn sie nicht gestorben ist, dann kreischt sie noch heute.

Am Samstag, 17. März, geht’s los. Zehn Simulator-Sessions à 5,5 Stunden, wovon jeweils 1,5 Stunden Briefing und Debriefing, verteilt über 16 Tage. Alle bis auf eine geplant mit Harry Mayhew. Harrys Ruf eilt ihm voraus und er ist mittlerweile wohl weltweit bekannt. Unsere Knie schlottern schon, bevor wir ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen. Oberst in der Royal Australian Airforce, dann Kapitän beim Käthy und jetzt, nach der Pensionierung, Simulatorinstruktor. Eigentlich ist er wohl ein ganz netter Kerl, aber in der Geisterbahn wird er zum Monster (noch eines). In den ersten zwei Sessions ist er noch moderat, aber schon in der dritten Session passiert\'s: Ich fliege, Graham assistiert mich, der Flight-Eng gibt sein Bestes und hilft uns, wo er nur kann. Das über einstündige Briefing habe ich schon lange vergessen und als es zu einer zentralen Übung mit Druckabfall, Sauerstoffmaske und Notabsinken kommt, mache ich einen kleinen, wirklich unbedeutenden Fehler. Harry startet durch. Er ist dermassen ausser sich, dass ich ihn nicht nur hören, sondern seine Schallwellen im Genick fühlen kann.

Das Ganze halt, Übungsabbruch, die Mechaniker müssen kommen und den ganzen Sauerstoffsalat retablieren und, und, und... Ich bin am Boden zerstört. Harry kommt wieder in den grünen Bereich zurück und wir machen weiter. Aber beim kleinsten Detail, und sei es nur ein Wörtchen, wie es nicht im Buch steht, beginnt das Geschrei von Neuem. Ein richtiger Drill-Instruktor. Armee 64. Tags darauf habe ich meinen „Schwarzen Dienstag“. Demotiviert, entmutigt und mit schwindendem Selbstvertrauen ist dieser freie Tag alles andere als Erholung. Da bin ich Söldner in fremden Diensten wie einst die alten Eidgenossen. Zwar nicht in einem Feldzug mit Napoléon, aber das Gefühl auf der falschen Seite der Beresina zu stehen, werde ich nicht los. Meine Lieben daheim muntern mich auf. Es ist wirklich schön zu wissen, dass jemand an einen glaubt und man nicht alleine ist.

In der Schweiz schneit es. Hier wäre es angenehm warm, seit vier Tagen war ich nun aber nicht mehr draussen. Endlich wieder Rennen, den Kopf verlüften, ein heisses Bad und Sauna. Von da an läuft es mir mit Harry immer besser, ich fliege, glaube ich, wirklich nicht schlecht. Er klopft mir sogar mal auf die Schulter und ich höre ein „good boy“. Wow. Ich komme mir eher wie ein „school boy“ vor. Dafür nimmt er ab jetzt Graham in die Zange. Der Arme ist jeweils pflotschnass, so bringt ihn Harry ins Schwitzen. Ich bin überzeugt, dass Harry wirklich nur das Beste mit uns erreichen will, aber wären seine Methoden 40 Jahre moderner, er würde glatt 100% mehr erreichen. Wir sind nicht wirklich traurig, als er zur letzten Session nicht erscheint. Entweder haben wir ihn so entnervt, dass er krank wurde oder aber er hat sich krank gemeldet, weil an diesem Wochenende das grosse Rugby-Turnier von Hong Kong stattfindet.

Wir kommen in den Genuss eines neuen Instruktors, Tony Norton. Pensionierter Käthy-Kapitän, Südafrikaner und ein richtiger Gentleman. Welten. Wir schätzen es.
Dann bereits die letzte Session und am 2./3. April der zweitägige Abschluss-Check. Wir sind überglücklich und können es kaum fassen, dass wir es geschafft haben. Wir feiern abends mit Mark und Kim bei einer guten Flasche Wein und einem saftigen Stück Fleisch.
Der Himmel hellt sich wieder auf. Sprichwörtlich. War es bei meiner Ankunft noch häufig stark bewölkt gewesen, mit schlechter Sicht und recht frischen Temperaturen, d.h. so 15 bis 20°C, ist es nun, seit ende März, subtropisch. Meist über 25°C mit relativ hoher Luftfeuchtigkeit. Auch die Winde haben etwas gedreht und es kommt sauberere Luft vom Ozean her. Als im März die Temperaturen mal kurzzeitig auf 14°C gesunken sind, haben die Meteorologen eine „cold weather warning“ herausgegeben. Hier sind dann alle mit Winterjacken und Wollkappen herumgelaufen.

B Hvx C X017c

Ostersamstag

Unser grosser Tag ist gekommen. Flugtraining. Hätte nie gedacht, dass ich je so ein grosses Ei fliegen werde. Jetzt ist es soweit. Reporting time 1350. Graham und ich sind natürlich deutlich früher im Despatch und schauen uns das Wetter sowie die Informationen über das Flugzeug und den Flug an. Am Karfreitag hatten wir unter Anleitung des Cheffluglehrers Käpt’n Chris Hulley und Chef-Flugingenieur Mike Conduit das Platzvoltenfliegen im Simulator geübt. Mit diesen beiden und einem zusätzlichen „safety-pilot“, Käpt’n Tom Reynolds, geht’s heute ins 50 Kilometer süd-westlich von Hong Kong gelegene Zhuhai in China. Macau befindet sich direkt daneben. Das Wetter ist nicht gut. Aber auch nicht sauschlecht. Was macht man da? Mol go luege und gnue Moscht mitneh! 120 Tonnen sollten reichen. Wir werfen Münzen und ich habe einmal mehr die Chance, als Erster in sämtliche Fettnäpfchen zu treten. Halleluja.

Dann verschlägt es mir die Sprache.
Sie ist noch viel schöner und eindrücklicher als ich dachte. Zuerst zeigt uns Chris das Hauptdeck, eine Turnhalle für 110 Tonnen Fracht. Dann geht’s über eine abenteuerliche Treppe ins Oberdeck. Mike ist bereits am Kaffeekochen und es riecht ganz heimelig. Hier oben befindet sich neben der Küche und einer Toilette ein grosszügiger Aufenthaltsraum mit sechs Erstklass-Sitzen und zwei BETTEN. Und das Cockpit. Eine Alphütte. Hoch gelegen und primitiv eingerichtet. Als wir die Rolls-Royce Motoren starten, erwacht sie zum Leben. Ich schiebe die vier Gashebel nach vorne und langsam beginnen sich die 270 Tonnen (von 379 möglichen) zu bewegen. Aus dieser Höhe merkt man davon fast nichts und Chris mahnt mich, nicht zu rasen.

Im Juni

„Cathay 9995 cleared for take-off runway 07R, wind 040/10 knots”. Die Roller beginnen zu schnaufen wie die Wilden, jeder mit 24 Tonnen Schub. Unser Schätzeli schüttelt sich und beschleunigt auf 280 km/h. Ich ziehe vorsichtig am Steuerhorn und majestätisch heben wir ab. Vorsichtig deshalb, weil jetzt das Füdli nur noch 2 Fuss (oder 24 Inches, wie Graham zu sagen pflegt) über dem Boden ist. Zieht man zu brüsk, dätscht’s. Nase 15 Grad über den Horizont, Fahrwerk einziehen (18 Rädli, 2 am Bug und 16 unter dem Bauch und Flügel). Steigen auf 5000 Fuss Richtung Ost-Nordost. Dann um Lantau herum nach Süd-Westen, Triebwerkleistung reduzieren, Klappen einfahren und weiter steigen auf 7000 Fuss, Kurs Zhuhai. Ein Traum von einem Flugzeug. Masse macht stabil und trotzdem ist die Reaktion auf meine Steuerbewegungen zügig und präzis. Wechsel zum Controller von Shenzhen Approach. Die Chinesen fliegen, wie die Russen, noch immer metrisch. Wir werden aufgefordert, auf Flugfläche 2100 Meter abzusinken, was nur noch 6900 Fuss entspricht. Die ganze Absinkerei erfordert besondere Aufmerksamkeit. Am Funk wird viel Chinesisch geredet und soviel verstehe ich auch.

Fortsetzung folgt...

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